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Teil 6 - Diskussion

6-4: Frühe Abbildungen

Frühe Abbilder sind zwar Bilder, aber frühe Bilder können weit mehr und anderes sein als Abbilder. Letzteres betrifft nicht nur «rein formale» Bilder, sondern auch andere Beziehungen des Graphischen zu Nicht-Graphischem als Analogien. Doch soll hier nicht auf diese grundsätzliche Frage aller möglichen Beziehungen eingegangen werden – dazu liefern morphologische und zugleich dokumentarische Studien nur fragmentarische Hinweise, und zusätzliche Beobachtungen des graphischen Prozesses sind nötig –, sondern es soll auf eine anstehende Klärung der Genese der bildhaften Analogien selbst hingewiesen werden.

Wie bereits erwähnt, wird in der Literatur die Entstehung der Abbildung in der Regel nach folgendem Grundsatz beschrieben: Zuerst treten «beigefügte» Bedeutungen zu Bildern auf, als im Nachhinein geäusserte verbale Bezeichnungen einer Analogie, welche aber von den Erwachsenen visuell nicht nachvollzogen werden kann. Wesentlich später erscheinen erste visuell erkennbare Abbildungen, welche hauptsächlich die Menschdarstellung betreffen. In einem dritten Schritt differenzieren sich anschliessend verschiedene Darstellungsmotive aus, und sowohl die gegenseitigen Beziehungen des Dargestellten untereinander wie deren räumliche Beziehungen werden zunehmend in die Analogiebildung mit einbezogen (vgl. die Erläuterungen in Kapitel 1-2-02 und 1-2-04).

Die hier vorliegenden Befunde geben aber Anlass zu einer differenzierteren Beschreibung. Ohne diese Thematik als solche vertieft untersucht zu haben, lässt sich anhand der Ergebnisse der Längs- und Querschnittstudien dennoch folgendes Schema der Ausdifferenzierung und Entwicklung entwerfen:

Typ 1
Die visuelle Betrachtung ohne Beibezug eines verbalen Kommentars lässt keine Analogiebildung erkennen.
Das Kind kommentiert das Bild und bezeichnet einen abbildenden Sinn; doch auch dieser kann visuell nicht nachvollzogen werden (in der Literatur häufig als «beigefügte» Bedeutung oder «Sinnunterlegung» bezeichnet).
Verschiedene Bezeichnungen treten auf.
Die verbalen Äusserungen erfolgen in der Regel während oder nach der Erzeugung des Bildes (zu prüfen in prozessualen Studien).
Illustration: Z6-4-A = 3+1855
Typ 2a
Die visuelle Betrachtung ohne Beibezug eines verbalen Kommentars lässt keine Analogiebildung erkennen.
Das Kind kommentiert das Bild und bezeichnet einen abbildenden Sinn; dieser kann der Möglichkeit nach visuell nachvollzogen werden und bezieht sich auf eine Entsprechung einer einzelnen graphischen Eigenschaft mit einer einzelnen Eigenschaft des Abgebildeten.
Verschiedene Abbildungsmotive treten auf. Hierzu zählen auch Analogiebildungen zu Handlungen und Vorgängen («action representations» gemäss Matthews).
Die verbalen Äusserungen erfolgen in der Regel während oder nach der Erzeugung des Bildes (zu prüfen in prozessualen Studien).
Illustration: Z6-4-B = 1237+5492
Typ 2b
Erscheinungen wie für Typ 2a mit dem Zusatz, dass sich sowohl graphische Eigenschaften wie ihre verbalen Bezeichnungen in verschiedenen Bildern wiederholen, als «Modell» einer Analogiebildung.
Verbale Äusserungen erfolgen wie erwähnt in der Regel während oder nach der Erzeugung des Bildes. Eine Abbildungsintention könnte aber auch schon vor Erzeugung des Bildes bestehen (zu prüfen in prozessualen Studien).
Illustration: Z6-4-C = 9+19
Typ 3
Die visuelle Betrachtung ohne Beibezug eines verbalen Kommentars lässt keine Analogiebildung erkennen.
Das Kind kommentiert das Bild und bezeichnet einen abbildenden Sinn; dieser kann in Kenntnis des Kommentars entweder der Möglichkeit nach oder aber deutlich visuell nachvollzogen werden und bezieht sich auf die Entsprechung einer Konfiguration graphischer Eigenschaften mit zwei oder mehreren Eigenschaften des Abgebildeten.
Verschiedene Abbildungsmotive treten auf.
Eine Abbildungsintention besteht schon vor Erzeugung des Bildes, oder sie entsteht während des zeichnerischen und malerischen Prozesses (zu prüfen in prozessualen Studien).
Illustration: Z6-4-D = 20738+224+318
Typ 4a
Die visuelle Betrachtung ohne Beibezug eines verbalen Kommentars lässt zwar keine Analogiebildung erkennen, aber eine solche erahnen; dies betrifft insbesondere graphische Zusammensetzungen.
Das Kind kommentiert das Bild nicht.
Verschiedene Abbildungsmotive treten auf.
Eine Abbildungsintention besteht schon vor Erzeugung des Bildes, oder sie entsteht während des zeichnerischen und malerischen Prozesses (zu prüfen in prozessualen Studien).
Illustration: Z6-4-E = 12396+11709+31913
Typ 4b
Erscheinungen wie für Typ 4a mit dem Zusatz, dass sich die graphischen Konfigurationen in verschiedenen Bildern als «Modell» wiederholen.
Illustration: Z6-4-F = 33577+33580+8684+8683
Typ 4c
Erscheinungen wie für Typ 4a mit dem Zusatz, dass die graphischen Konfigurationen gehäuft im Vor- oder Umfeld anderer, deutlich erkennbarer Abbildungen erscheinen.
Illustration: Z6-4-G = 12412+12387+12383+12389
Typ 5
Die visuelle Betrachtung ohne Beibezug eines verbalen Kommentars lässt eine Analogiebildung erkennen, unabhängig davon, ob die Kinder die Bilder kommentieren oder nicht.
Eine Abbildungsintention ist häufig schon vor Erzeugung des Bildes vorhanden.
Die ersten Beispiele betreffen häufig die Menschdarstellung, doch lassen sich auch andere Abbildungsmotive beobachten (zu prüfen in kulturvergleichenden Studien).
Illustration: Z6-4-H = 17364+4767
Typ 6
Die visuelle Betrachtung ohne Beibezug eines verbalen Kommentars lässt nicht nur einzelne Analogiebildungen, sondern auch eine analoge Organisation der gesamten Bildfläche erkennen, unabhängig davon, ob die Kinder die Bilder kommentieren oder nicht.
Eine Abbildungsintention ist häufig schon vor Erzeugung des Bildes vorhanden.
Verschiedene Abbildungsmotive treten auf.
Illustration: Z6-4-I = 281+32761

Als mögliche Grundschritte der Entstehung von Analogien lässt sich also vermuten:

Als zeitlicher Ablauf lässt sich aus der Visionierung der Querschnittstudie ableiten (Angaben gemäss «Startwert»):

Diese Hinweise sollen aufzeigen, dass die Frage, in welchem Alter und in welcher Weise Abbildungen aufkommen, nicht verengt werden darf auf deutlich erkennbare visuelle Erscheinungen, weil sonst das frühe symbolische Vermögen und zugleich die frühe bildhafte Erkenntnis der Kinder missverstanden werden. Von ganz besonderem Interesse sind dabei Analogien, welche die Kinder zwar selbst verstehen, sie aber den Erwachsenen nicht kommunizieren. Nicht nur die formalen Anfänge der Bilder, auch frühe Aspekte von Abbildungen sind häufig weder von der jeweiligen Kultur im engeren Sinne vermittelt noch von den Erwachsenen verstanden.