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Teil 2 - Fragestellung, Begrifflichkeit und Methode - Fragestellung und Begrifflichkeit

2-1-01: Allgemeine Begriffe

Frühe graphische Äusserungen

Als «graphische Äusserung» wird bezeichnet, was ein

«Graphisch» wird, daraus abgeleitet, dasjenige genannt, was an einem materiellen Erzeugnis visuell wahrgenommen und hauptsächlich zweidimensional verstanden wird, mit einbezogen eine entsprechende Absicht seiner Herstellung.

Als «früh» sollen im Allgemeinen graphische Äusserungen gelten, welche zeitlich gesehen

Der Ausdruck «Frühe graphische Äusserungen» soll demnach bezeichnen: visuell wahrnehmbare, als flache verstandene und zu verstehende materielle Erzeugnisse, als solche intentional (in der Regel mit Instrumenten auf einem Untergrund) hergestellt und aus einem Zeitbereich von den ersten beobachtbaren Erzeugnissen bis zum Auftreten von einzelnen Abbildungen und auf den Raum bezogenen Anordnungen von Abbildungen stammend.

Graphisches und Nicht-Graphisches

Alles, worauf sich die Wahrnehmung und das Verstehen eines flächig Erzeugten als solchem beziehen, wird wie erwähnt «Graphisches» genannt. Alles, worauf sich die Wahrnehmung und das Verstehen eines flächig Erzeugten über es selbst hinaus beziehen kann, wird «Nicht-Graphisches» genannt. Verhältnisse zu Nicht-Graphischem sind Bezugnahmen von Graphischem zu Nicht-Graphischem. (In der Literatur werden solche Verhältnisse häufig als «Darstellungen», «Abbildungen» oder «Gegenstandsanalogien» bezeichnet. Doch sind diese Ausdrücke einerseits grundsätzlich zu bedenken und andererseits wird mit ihnen in der Regel nur ein Teil der möglichen Bezugnahmen bezeichnet.)

Die erste der nachfolgenden Zusammenstellungen von Bildern illustriert einige exemplarische graphische Aspekte in frühen Äusserungen ohne Verhältnisse zu Nicht-Graphischem (zum Aufruf von Illustrationen siehe Kapitel 0–5):
Z2-1-01-A = 40072+40141+40251+40401+40474+40504+40911+40923+41071+41161

Die zweite Zusammenstellung von Bildern illustriert einige exemplarische Aspekte von Verhältnissen des Graphischen zu Nicht-Graphischem:
Z2-1-01-B = 1236+41363+224+3726+9016+9505+8517+3323+495+394

Graphische Intention

Ein graphisches Merkmal – ein als Graphisches erzeugtes Merkmal – entspricht immer einer Absicht, denn Letztere definiert Ersteres. Doch ist zu beachten, dass eine graphische Intention

Für Intentionen, welche frühe graphische Äusserungen prägen, kann vermutet werden, dass sie

Form und Formales

Die Ausdrücke «Form» und «Formales» werden hier nur in Hinsicht auf das Graphische verwendet.

Als «Formen» werden sowohl identifizierbare und sich gegenseitig unterscheidende graphische Elemente wie auch ihre Zusammensetzungen bezeichnet, im Sinne von elementaren und übergeordneten formalen Einheiten.

«Formal» sind gemäss der hier vorgenommenen Bestimmung alle graphischen Aspekte aufzufassen, das heisst erzeugt, intentional und zweidimensional zu verstehen. Die beiden Adjektive «formal» und «graphisch» werden derart als Synonyme verwendet.

Formen stellen derart nur einen Teilbereich des Formalen (des Graphischen) dar. Letzteres umfasst neben den Ersteren insbesondere auch Entwicklungen, Anordnungen, Farbigkeit, Materialität sowie das ganze Bild betreffende Aspekte der Komposition.

Zeichen und Bild

«Ein Ikon ist ein Zeichen, das auch noch dann die Eigenschaft besitzen muss, die es zu einem Zeichen macht, wenn sein Objekt nicht existiert, so wie ein Bleistiftstrich, der eine geometrische Linie darstellt.» (Peirce, 2000, Band 1, S. 375)

Ein Objekt, dessen Wirkung über physikalische oder physische Vorgänge hinausgeht, das heisst, dessen Wirkung in einem Verstehen liegt, gehört zu den Zeichen.

Ein Objekt, welches auf ein Verstehen hin erzeugt wurde, gehört zu den als Zeichen erzeugten Zeichen.

Für Zeichnungen und Malereien wie für alle graphischen Äusserungen ist die zweite Definition anzuwenden. Zeichnungen und Malereien werden hier derart – ob «figurativ», «abbildend» oder nicht – als erzeugte, visuell wahrnehmbare flache Zeichen aufgefasst. 

Dieser Auffassung nach sind insbesondere vier «negative» Aspekte von Bedeutung. Ihr gemäss ist für ein Zeichen nicht zwingend und deshalb nicht konstituierend:

Es kann gemäss dieser Auffassung Zeichen quasi-ausserhalb einer Kommunikation zwischen zwei Menschen geben, es kann Zeichen quasi-ausserhalb von kulturell oder sozial festgelegten Regeln geben, es kann ein Lernen von Zeichen quasi-ausserhalb einer sozialen Vermittlung geben, und es kann Zeichen geben, die «nichts bedeuten». Alle diese Aspekte sind für frühe graphische Äusserungen von besonderer Bedeutung.

Viele frühe graphische Äusserungen stellen vermutlich solche Zeichen dar: (im engeren Sinne) nicht kommuniziert, nicht codiert, nicht vermittelt, nicht denotierend. Erst im Laufe der Entwicklung fügen sich solchen Äusserungen (im engeren Sinne) kommunikative Aspekte, Codierungen, von anderen Personen Vermitteltes sowie Abbildungen hinzu.

Wir benutzen die beiden Ausdrücke «graphische Äusserung» und «Bild» in Hinsicht auf Zeichnungen und Malereien als Synonyme, wobei zu beachten ist, dass hier nur von erzeugten Bildern die Rede ist. In dieser Weise sollen alle graphischen Äusserungen als Bilder und alle Bilder als Zeichen verstanden werden, und solche Äusserungen sollen sowohl von einer allgemeinen Theorie der Zeichen wie von einer allgemeinen Theorie des Bildes mit einbezogen werden müssen.

Frühe graphische Äusserungen immer schon als (erzeugte) Bilder und Bilder immer als Zeichen aufzufassen, entspricht einem Zeichenbegriff, wie er von Peirce (1931-1958) eingeführt wurde. Dieser Begriff steht aber in starkem Kontrast zu einem Zeichenbegriff, wie er von der Sprachwissenschaft her abgeleitet wurde und insbesondere auf Saussure (1916, 1994) zurückzuführen ist. Die beiden Gleichsetzungen – alle Zeichnungen und Malereien sind Bilder, und alle Bilder sind Zeichen – werden denn auch im Bereiche der Zeichentheorie und der Bildwissenschaft kontrovers diskutiert. Insbesondere wird in einem gewichtigen Teil der Fachliteratur bestritten, dass Bilder grundsätzlich mit Zeichen gleichzusetzen sind, und in einem ebenso gewichtigen Teil der Literatur werden nur «Abbildungen von realen oder fiktiven Figuren, Gegenständen und Szenen» als Bilder aufgefasst, mit eingeschlossen so genannt «abstrakte» Kunst der Moderne, aber anderes Nicht-Darstellendes ausschliessend.

Hinweise zur Vertiefung

  • Band 1, Teil 6; Band 3, Teil 1 und 7